Degrowth it: Schrumpfen wir uns gesund

Degrowth

Corona hat nicht nur das Außen verändert, sondern bei vielen Menschen einen inneren Nachdenkprozess ausgelöst. Was kommt danach? Wie wollen wir weiter leben? Wollen wir ein veraltetes Wirtschaftssystem durch Shopping retten? Oder möchten wir unseren Kindern einen resilienten Planeten hinterlassen?  In welchen Bereichen möchten wir wachsen? Und in welchen Bereichen ist es an der Zeit, uns gesund zu schrumpfen? Degrowth statt unendliches Wachstum.

Corona Lockdown: Selbstversorgung ohne Kaufrausch

Im Corona Lockdown wurden die Gehsteige weltweit hochgeklappt. Das öffentliche Leben, die Kinderbetreuung und die sozialen Kontakte kamen zum Erliegen. Corona stoppte unser Tun und brachte das Hamsterrad des wirtschaftlichen Wachstums zum Erliegen. Wir blieben zu Hause, betreuten die Kinder, kochten selber, reparierten unsere alten Sachen und tauschten mit unseren Nachbarn und Nachbarinnen Kinderschuhe und frischgebackenen Kuchen. Wir hatten wenig Geld zum Leben und wir brauchten wenig Geld zum Leben. Die Wiedereröffnung des Handels noch vor den Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen irritierte uns. Wie sollten wir mit zwei Kleinkindern unter den Abstandsregelungen shoppen gehen? Und was wollten und konnten wir überhaupt kaufen? Irgendein Konsumgut würde unsere Lage nicht verbessern.

Corona Lockdown: Wünsche ans Christkind

Nach was wir uns sehnten als Familie in einer Wohnung in der Metropole Wien war Natur und Vogelgezwitscher und andere Menschen zum Austauschen und Spielen. Und nach was ich mich sehnte als Sozialökologin, systemischer Coach und nachhaltige Unternehmensberaterin war ein Masterplan für einen zukunftsfähigen Wiederaufbau. Ich sehnte mich nach einem Hochklappen der Gehsteige gekoppelt mit einer Entsiegelung der dreckigen, heißen Asphaltflächen unter meinen Füßen. Einer veränderten Produktions- und Konsumlogik, die meinen Kindern, die beide im Jahr 2100 noch leben werden, ein friedvolles Leben auf einem intakten Planeten ermöglicht. Das hätten wir gebraucht. Das brauchen wir.

Degrowth statt unendlichem Wachstum

Kurz nach dem Lockdown lese ich in der Zeitung der Wiener Wirtschaft ein Gastkommentar vom Wirtschaftskammerpräsidenten Harald Mahrer: „Als Wirtschaftskammern vermitteln wir den Konsumentinnen und Konsumenten jetzt eine klare Botschaft: Konsumieren schafft Arbeit. Jeder und jede kann durch Konsum und insbesondere durch Einkaufen bei unseren Unternehmen einen Beitrag für den Weg aus der Krise leisten. Das muss jetzt Konsens in ganz Österreich sein.“
Das lese ich so und mir wird übel. Eine Wirtschaft die zu Grunde geht, wenn wir den ganzen Trödel, den wir gar nicht brauchen nicht mehr kaufen, ist keine gute Wirtschaft. Vor allem nicht für unsere Kinder.
In einer Videokonferenz, bei der die Keynote hielt, hörte ich auf die Frage, wieso eigentlich unser Wirtschaftssystem sich von dem unendlichen Wachstumsgedanken nicht endlich verabschiedet, die Antwort: „Wir Menschen wollen unseren Kindern ein besseres Leben ermöglichen und ihnen mehr hinterlassen, als wir selber hatten. Drum ist es Antrieb der Menschen, wirtschaftlich stetig zu wachsen.“

Wachstum mit Herz und Hirn

Ja das ist, was mein Vater in den 1970er Jahren wollte. Aber das ist nicht, was ich im Jahr 2020 möchte. Ich habe bereits ein gutes Leben. Meine Kinder brauchen kein Meer an Konsumgütern. Wir gehen über an Spielzeug. Der Ozean geht über an Plastik. Was ich möchte ist, dass die Resilienz des Ökosystems Erde für meine Kinder erhalten bleibt. Und auch das bedeutet Wachstum. Aber nicht Konsumwachstum. Sondern Wachstum an Zeit und Selbstbestimmung, an Resilienz und Regionalität, an Vereinbarkeit und Chancengleichheit. Wachstum an qualitativ hochwertigen Produkten, Reparaturbetrieben, biologischen und pflanzlichen Lebensmitteln, öffentlicher Verkehrsinfrastruktur und erneuerbaren Energien.
Und dieses Wachstum geht mit einer Schrumpfung einher. Mit der Schrumpfung von Branchen, die Zukunft verhindern, Menschen und Kinder ausbeuten und unsere Lebensgrundlagen zerstören. Und dieses Wachstum geht auch einher mit einer Arbeitszeit- und Konsumreduzierung. Wenn wir möchten, dass unsere Kinder einmal ein gutes Leben haben, müssen wir das Tabu der Wirtschaftsschrumpfung brechen. Als Politikerinnen, als Unternehmer und als Menschen.

Degrowth it: Schrumpfen wir uns gesund

Die Phase des ersten Lockdowns ist vorüber. Aber die Corona Krise bleibt uns noch länger erhalten. Und die Klimakrise bleibt uns für immer. Wir wissen, dass wir, wenn wir weiter so haushalten wie vor der Corona-Krise, unseren Kindern ihre Lebensgrundlagen unwiederbringlich zerstören werden. Und zwar für immer. Unwiederbringlich. 
Daher muss der Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Corona Krise mit einer Schrumpfung einhergehen. Mit einer Schrumpfung von Geschäftsfeldern, die Zukunft zerstören.
Unter Degrowth oder Postwachstum verstehen wir eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen erhält. Dafür ist eine grundlegende Veränderung unserer Lebens- und Wirtschaftswelt notwendig.
Und das ist keine einfache Aufgabe, aber es ist möglich. Und sehr viele Menschen auf diesem Planeten arbeiten bereits daran! 

Maria Lackner

Maria Lackner ist Unternehmensberaterin, Auditorin für das Gütesiegel Beruf und Familie, Prozessbegleiterin und systemische Coachin. Ihre Herzensthemen sind Effizienz, Resilienz, Vereinbarkeit und Nachhaltigkeit.

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